Februar 2011: Skelett der Meerstrandechse

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BSPG 1902 II 501
Holotypus
Obere Kreide (Cenomanium, ca. 95 Millionen Jahre)
Dorfsteinbruch von Vrbanj, im Norden der Insel Hvar,
Provinz Dalmatien, Kroatien
Länge des erhaltenen Skelettes: 77 cm

Foto: M. Schellenberger
© Paläontologisches Museum München

Unser Fossil des Monats wurde in den 1870er Jahren vom Landmann Ivan Račić auf der Insel Hvar (dem früheren Lesina) gefunden und befand sich zunächst in der privaten Naturaliensammlung des Lehrers I. Novak in Zara. In der wissenschaftlichen Erstbeschreibung von 1892 durch Dr. Carl Gorjanović-Kramberger, der in München bei Prof. K. A. v. Zittel Paläontologie studiert hatte, wird das Stück als neue Gattung und Art Aigialosaurus dalmaticus eingeführt. Im Jahr 1902 gelang es, das wertvolle Stück für die Paläontologische Staatssammlung in München zu sichern.

Der Name Aigialosaurus dalmaticus leitet sich aus dem griechischen αἰγιαλός, Meeresstrand, und σαύρα, Echse, ab und bezieht sich trefflich sowohl auf die Herkunft des Fossils von der Mittelmeerinsel Hvar in der Provinz Dalmatien – quasi am Mittelmeerstrand von Kroatien – als auch auf den Lebensraum, in dem das Tier vor ca. 95 Millionen Jahren lebte: nämlich am nordwestlichen Rand des großen „Tethys“ genannten Meeres, inmitten einer Riff- und Inselwelt, aus der einmal nach mancherlei tektonischen Plattenbewegungen das heutige Südwest- und Südeuropa hervorgehen sollte.

BU1: Originalzeichnung des Skelettes von Aigialosaurus dalmaticus
von Gorjanović-Kramberger (1892)

Verwandtschaftlich gehört der Aigialosaurus in eine interessante Gruppe von waranartigen Eidechsen, die den Übergang vom Land- zum Meeresleben geschafft haben. Sie haben einen noch waranartigen Rumpf, aber mit verkürzten Armen und Beinen, kombiniert mit einem langen Ruderschwanz. Die Hände und Füße sind bereits zu Paddeln weiterentwickelt. Aus solchen Formen, Vertretern der Familie der Aigialosaurier, gehen die großen Meeresechsen der Oberkreidezeit, die Mosasaurier hervor. Aigialosaurus hat mit den Mosasauriern als ein charakteristisches Merkmal ein zusätzliches Kiefergelenk in der Mitte des Unterkiefers gemeinsam, welches vielleicht im Kampf mit der Beute größere Flexibilität und Bruchsicherheit gewährleistete. Bei einer Nachpräparation anlässlich einer Wiederbeschreibung unseres Stückes wurde der Schädel von der Rückseite freipräpariert und zeigt nun diese bemerkenswerte Kieferkonstruktion von innen und außen.

BU2: Rekonstruktion von Mesoleptos zendrinii, einer „Urschlange“
aus der basalen Oberkreide von Israel (aus Lee & Scanlon 2002).
Länge des Tieres: 105 cm. Der Kopf der „Urschlangen“ ist wesentlich
kleiner und die Extremitäten graziler als bei einem Aigialosaurier.

Die insgesamt etwa 1,5 m langen Aigialosaurier teilten sich die Gewässer mit recht nahe verwandten und zum Teil zum Verwechseln ähnlichen Echsen, die ebenfalls stark ans Wasserleben angepasst waren: die ersten Schlangenartigen sind mit mehreren Arten in Ablagerungen des oberkreidezeitlichen Tethys-Meeres bekannt. Sie haben die Reduzierung der Extremitäten etwas weiter vorangetrieben und besitzen nur noch Stummelbeine an ihrem walzenförmigen Körper. Die Beine der Urschlangen – wie auch der Aigialosaurier – haben aber noch den für ein Landtier typischen vollständigen Knochenbestand aus Oberschenkelknochen, Schienbein, Wadenbein, Fußwurzel-, Mittelfuß- und Zehenknochen.

Der Körper unserer Meerstrandechse weist massive, verdickte Rippen (Pachyostose) auf. Das ist eine typische Anpassung an ein dauerhaftes Leben im Wasser und zum Beispiel auch bei Seekühen bekannt. Das zusätzliche Gewicht verringert den Auftrieb und ermöglicht es den Tieren längere Zeit zu tauchen. Auch in der Fortpflanzung haben die Aigialosaurier – wie viele andere Meeresreptilien des Erdmittelalters in paralleler Entwicklung – einen Weg beschritten, der das Problem des Eier-Legens an Land umgeht und somit einen permanenten Aufenthalt im Wasser ermöglichte: sie waren lebendgebärend. Dies verrät uns der Fund eines trächtigen Weibchens des Aigialosauriers Carsosaurus marchesetti aus gleichaltrigen Schichten im benachbarten Slowenien.
Der Erfolg der mit den Waranen verwandten Aigialosaurier und ihrer Nachfahren, den Mosasauriern, ist unbestreitbar: Kurz nach dem Auftauchen dieser Meeresechsen am Beginn der Oberkreidezeit sterben die bis dahin so vielfältigen Fischsaurier aus und man hat als Ursache Verdrängung durch die Konkurrenz vermutet.

Markus Moser