Oktober 2015: Calamitenwurzeln

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Myriophyllites gracilis Art.
Oberkarbon (290 Millionen Jahre)
Flöz Johann, Zeche Friedrich Heinrich
Kamp Lintfort, Deutschland
Länge des Stückes: 19 cm

Wenn paläontologische oder naturhistorische Museen Pflanzenfossilien ausstellen, zeigen sie in der Regel nur die oberirdischen Teile der Pflanzen. Jedoch hatten natürlich auch die Pflanzen der geologischen Vergangenheit ihre Wurzeln, über die die Museumsbesucher allerdings fast nie etwas erfahren. Grund hierfür ist, dass fossile Wurzeln nur selten schön anzusehen sind und sich in Ausstellungen nicht wirksam präsentieren lassen. Dennoch waren die Wurzeln für die Pflanzen lebenswichtig, da sie die oberirdischen Teile (Stämme, Blätter) mit Wasser und Nährstoffen versorgten, und die Pflanzen im Boden verankerten.


Das Fossil des Monats Oktober stammt aus der Sammlung des Münchner Paläobotanikers Prof. Dr. Max Hirmer, die heute in die Bestände der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie integriert ist. Das Stück zeigt Abdrücke mehrerer kräftiger Wurzeln mit feinen Seitenwurzeln aus dem Oberkarbon des westlichen Ruhrgebietes. Die Wurzeln bestanden, und dies kann man an den Abdrücken gut erkennen, aus einem zentralen Strang aus Leitgewebe (Zentralzylinder), der in den Abdrücken dunkler erscheint, sowie einer aus lockeren, dünnwandigen Zellen bestehenden Rinde (Cortex), die im Fossil heller erscheint. Die dünnen Seitenwurzeln entspringen dem Zentralzylinder und ziehen durch die Rinde nach außen.


Die gezeigten Wurzeln gehören zu einem Calamiten, einem baumgroßen Schachtelhalmgewächs (Equisetophyta oder Sphenophyta) des Oberkarbons. Diese Pflanzen bestanden aus weitläufigen unterirdischen Sprossachen (Rhizomen) und oberirdischen, meist aufrechten, unverzweigten oder verzweigten Luftsprossen, die bei den größten Formen über 10 m hoch wurden. Calamiten wuchsen in den nasseren Bereichen der Sumpfwälder, zumeist in dichten Beständen in denen sich die einzelnen Pflanzen gegenseitig stützten. Entfernt vergleichbar sind die Calamiten des Oberkarbons mit Equisetum, dem einzigen heute noch existierenden Vertreter der einst großen Gruppe der Schachtelhalmgewächse. Allerdings wird keiner der heutigen Schachtelhalme auch nur annähernd so groß wie die karbonischen Verwandten. Gemein ist allen Schachtelhalmgewächsen die regelmäßige Unterteilung nahezu des gesamten Pflanzenkörpers in Nodien (Knoten) und zwischen den Nodien liegenden Internodien.



Ausgenommen von der Unterteilung in Nodien und Internodien sind lediglich die Wurzeln, die von allen unterirdischen Teilen der Pflanze in großer Zahl gebildet werden, und daher auch als Fossilien zusammen mit anderen Calamitenresten (z.B. Stammstücke, Beblätterung) häufig gefunden, leider aber nur selten gesammelt und genauer betrachtet werden. Dennoch sind eine ganze Reihe unterschiedlicher Typen und Erhaltungszu-stände von Calamitenwurzeln im Laufe der Zeit wissenschaftlich beschrieben worden, die so wohlklingende Namen wie Astromyelon, Asthenomyelon oder Zimmermannioxylon tragen, wenn sie strukturbietend (also mit allen Zellen und Geweben) erhalten sind, und die man Pinnularia oder Myriophyllites nennt, wenn sie in Abdruckerhaltung vorliegen.



Der botanische Gattungsname Myriophyllites für die hier gezeigten Wurzeln leitet sich aus dem Präfix myri (‚sehr viele, unzählige’) und dem griechischen Wort für ‚Blatt’ (phýllon) ab. Die Fossilien haben den Namensgeber offenbar stark an die reich mit feingliedrigen Blättern besetzten Sprosse von Myriophyllum (Tausendblatt), einer in Europe weit verbreiteten, untergetaucht im Wasser lebenden Blütenpflanze, erinnert. Obschon dieser Vergleich aus heutiger Sicht seltsam erscheint, so ist er doch erklärbar: Der Namensgeber vor mehr als 150 Jahren wußte nicht, dass es sich bei den Fossilien um Wurzeln handelt, sondern ging davon aus, dass es sich um Stengel mit ansitzenden linealischen Blättern handelt. Der Zusammenhang mit Calamiten wurde erst später erkannt.           



M.K.