Juni 2014: Unterkiefer eines Riesenigels

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Deinogalerix koenigswaldi
SNSB-BSPG 2004 IX 3
Alter ca. 9 Mio. Jahre (Miozän)
Monte Gargano, Italien
Länge 9 cm, Höhe 3 cm

Foto: SNSB-BSPG, Manuela Schellenberger

Fossile Inselfaunen sind bekannt für ungewöhnliche Entwicklungen im Vergleich zu festländischen Lebensgemeinschaften. Sie entwickelten sich abgeschieden vom Festland auf vergleichsweise kleiner Fläche mit beschränkten Nahrungsressourcen. Außerdem fehlten sehr oft Räuber. Damit lag ein Selektionsdruck vor, der sich von jenem auf dem Festland unterschied und  anderweitige Evolutionsprozesse bedingte. Das Auftreten von Riesen- und Zwergwuchs bei Wirbeltieren ist das bekannteste Phänomen. Besonders populäre Beispiele sind die pleistozänen Zwergelefanten des Mittelmeerraumes und die Zwergmenschen der indonesischen Insel Flores.

Der Riesenigel Deinogalerix lebte vor ca. 9 Millionen Jahren im Miozän auf der ehemaligen Insel Gargano an der Ostküste Italiens (heutiger Sporn des italienischen Stiefels). Er gehört zu einer Gruppe endemischer Wirbeltiere, die ausschließlich auf Gargano vorkamen. Neben riesenhaften Eulen, fünf-hornigen Ziegenverwandten und übergroßen Nagetieren entwickelten sich auch Giganten unter den Insektenfressern, so auch Deinogalerix. Wie von allen anderen Faunenelementen haben sich seine Überreste in Sedimentverfüllungen dortiger Karstspalten erhalten, sie zählen aber zu den eher seltenen Funden. Die Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie ist eine der wenigen Institutionen, die im Besitz einiger dieser wertvollen Deinogalerix-Fundstücke ist. Dank der finanziellen Unterstützung des Fördervereins konnte im Jahr 2004 eine große Sammlung von Säugetierresten aus Gargano erworben werden.

Deinogalerix zählt zur Unterfamilie der stachellosen Rattenigel (Galericinae) aus der Familie der Igel (Erinaceidae). Rattenigel treten heutzutage nur in Südostasien auf, während die Stacheligel in allen Teilen der „Alten Welt“ (also nicht in Amerika und Australien) heimisch sind. Die ehemalige Ausbreitung der Rattenigel ist nicht genau bekannt, jedoch ist durch das Vorkommen fossiler Vertreter wie Deinogalerix anzunehmen, dass ihr Verbreitungsraum in der erdgeschichtlichen Vergangenheit wesentlich größer war. Im Gegensatz zu der uns vertrautesten Igelart, dem Braun-brustigel (Erinaceus europaeus), einem Vertreter der Stacheligel (Erinaceinae), besaß Deinogalerix vermutlich kein Stachelkleid, sondern ein dichtes Fell, vergleichsweise lange Vorder- und Hinterläufe und einen langen Schwanz.

Das ausgestellte Stück ist ein Unterkiefer der Art Deinogalerix koenigswaldi auf dem der Großteil des Backenzahngebisses erhalten ist. Die Zahnpositionen sind auf den Kieferästen nahezu vollständig besetzt. Daneben sind die Zahnfächer der fehlenden Zähne zu sehen. Die Form der Zahnkronen mit ihren scharfkantigen Schmelzleisten und spitzen Höckern ist typisch für einen Vertreter der Insektenfresser und entspricht im Wesentlichen dem der heutigen Igel. Die Größe weicht allerdings enorm von der der lebenden Igel ab, wie der als Vergleich ausgestellte Unterkiefer des Braunbrustigels demonstriert. Aufgrund von Funden weiterer Skelettelemente lassen sich Körperlängen von bis zu 60 cm für Deinogalerix rekonstruieren. Ein weiterer Unterschied zeigt sich in der aus der restlichen Zahnreihe herausragenden Größe eines Backenzahnes mit stark verlängerter Schneidekante, was einer Besonderheit und Anpassung in der Gruppe der Raubtiere entspricht. Dies deutet auf eine karnivore Ernährungsweise, sei es aktiv als Räuber oder passiv als Aasfresser, von Deinogalerix hin und entspricht einer Konvergenz, also der unabhängigen Entwicklung eines gleichartigen Merkmals aufgrund gleicher Funktion in nicht nahe verwandten Gruppen.

Adrian Galitz und Gertrud E. Rössner