Dezember 2014: Riesenwasserwanze

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Scarabaeides deperditus Germar, 1839
Oberjura (ca. 150 Millionen Jahre)
Solnhofen-Formation
Solnhofen, Fränkische Alb
Länge des Fossils: 5 cm
SNSB-BSPG 2013 I 18

Insekten sind die erfolgreichsten Lebewesen auf der Erde. Sie sind mit mehreren Millionen Arten die mit Abstand vielfältigste und neben den Fadenwürmern und Ruderfußkrebsen auch die individuenreichste Tiergruppe – ¾ aller Lebewesen sind Insekten. Sie besiedeln nahezu alle Lebensräume. Die meisten Insekten leben auf der festen Landoberfläche, einige Gruppen kommen auch im Süßwasser vor, wie zum Beispiel die Wasserwanzen und Wasserkäfer sowie die Larven der Eintagsfliegen und Libellen. Nur wenige Insektenarten leben im Brackwasser oder am Spülsaum der Meere, und nur eine einzige kleine Untergruppe der Wanzen (Halobates – Wasserläuferwanze) erschloss auch die offene Meeresoberfläche als Lebensraum.

Fossile Insekten sind seit etwa 400 Millionen Jahren bekannt. Zu den ältesten Vertretern gehören Funde aus dem unteren Devon von Schottland, die einerseits zu den Springschwänzen (Rhyniella praecursor), andererseits wahrscheinlich schon zu den Fluginsekten (Rhyniognatha hirsti) zu zählen sind. Weitere fossile Insekten sind dann erst wieder im Oberkarbon (ca. 320 Millionen Jahre) zu finden, welche nun aber schon eine beachtliche Vielfalt zeigen. Neben den Springschwänzen treten hier bereits weitere, heute noch existierende Gruppen wie die Silberfischchen, Eintagsfliegen, Libellen, Schaben und Heuschrecken auf. Spätestens jetzt hatten die Insekten auch den Luftraum erobert mit all den dafür nötigen Anpassungen wie ein effizientes Tracheen-Atmungssystem und die Ausbildung von Flügeln. Das Aufkommen der Blütenpflanzen (Angiospermen) in der Kreide bot vielen Insekten neue Lebensräume und vermehrte Entfaltungsmöglichkeiten. In der Folge entstanden zahlreiche neue Insektenarten. Die Blütenpflanzen reagierten ihrerseits auf die Entwicklungen bei den Insekten, was die Diversifikation der Insekten zusätzlich beförderte (Koevolution). Später, im frühen Tertiär, sorgte das Aufblühen der Säugetiere und Vögel für einen weiteren Schub in der Entfaltung der Insekten (z.B. an Tieren schmarotzende Läuse und Flöhe).

Berücksichtigt man die Zartheit der meisten Insekten, ist ihre fossile Überlieferung ein wahres Wunder, vor allem wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der Arten nicht im Wasser lebt. Nur dort können sie aber dauerhaft konserviert werden, in einer Umgebung also, in der sie unter Wasser im Sediment eingebettet werden können. Das bedeutet, dass Insekten zunächst an den Ort ihrer Einbettung transportiert werden müssen. Landlebende Insekten können beispielsweise durch Hochwasserfluten in Seen gespült und Fluginsekten durch Stürme auf die Wasseroberfläche von Seen und Meeren geweht werden. Wasserwanzen, insbesondere Riesenwasserwanzen (Belostomatidae), leben in Seen und Tümpeln, verlassen aber das Wasser auch von Zeit zu Zeit. Sie sind in der Regel auch gute Flieger. Die aquatische Lebensweise begünstigt grundsätzlich die fossilen Erhaltungsmöglichkeiten von Wasserwanzen.

Die Riesenwasserwanze Scarabaeides deperditus aus dem Oberjura der Fränkischen Alb stammt aus den Solnhofener Plattenkalken, die ehemalige Lagunen (Wannen) in einem großen Archipel mit Korallen- und Schwammriffen am Nordrand des Urmittelmeeres, der Tethys, repräsentieren. Der sehr feinkörnige Kalkschlamm, der sich am Boden der Wannen absetzte war ein ideales Medium für die Einbettung selbst zarter filigraner Tier- und Pflanzenreste. Das Klima im Oberjura in Süddeutschland war semiarid bzw. zunehmend arid mit periodischen Regenfällen in deren Folge sich zeitweise Süßwassertümpel bildeten. Hier war der eigentliche Lebensraum von Scarabaeides deperditus. Starke ablandige Winde bzw. Stürme sorgten offenbar dafür, dass die Riesenwasserwanzen an die Meeresküste in die Solnhofener Wannen verweht wurden.

Scarabaeides ist mit bis zu 5 cm Körperlänge die größte Wasserwanze in den Solnhofener Plattenkalken. Charakteristisches Merkmal ist das dreieckige Feld (Scutellum oder „Schildchen“), welches hinter dem Halsschild als zwischen den Flügeldecken eingeschobener Keil sichtbar ist.

Scarabaeides
 lebte räuberisch und ernährte sich vermutlich von Beutetieren bis zur Größe eines kleinen Fisches. Vergleichbare Formen mit bis zu 11 cm Länge gibt es heute noch in Brasilien und anderen tropischen Regionen.Das gut erhaltene Fossil (Platte und Gegenplatte) wurde der Münchner Staatssammlung letztes Jahr von Alfred Jansen, Olching, großzügigerweise überlassen.

Martin Nose