August 2015: Schnabelfisch

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Aspidorhynchus acutirostris (Blainville, 1818)
Oberer Jura (ca. 150 Mio Jahre)
Wegscheid, Schernfeld, nahe Eichstätt
BSPG 2012 I 1

In der Zeit des oberen Jura, vor etwa 150 Millionen Jahren, sah Bayern noch ganz anders aus als heute. Die Alpen existierten zu dieser Zeit noch nicht, sie sind erst später aufgefaltet worden, und somit grenzte Bayern nach Süden an das Urmittelmeer, die Tethys. Nördlich des Ozeanbeckens erstreckte sich ein Flachmeer bis weit auf die europäische Kontinentalplatte, das auch den überwiegenden Teil Bayerns bedeckte. Als große Inseln erhoben sich im Norden das Rheinische Massiv und im Osten die Böhmische Insel. Zu jener Zeit lag Mitteleuropa deutlich weiter südlich als heute, und der Äquator war nur wenige hunderte Kilometer entfernt, so dass ein tropisches Klima herrschte. Ausgedehnte Schwamm- und Korallenriffe wuchsen im südlichen Teil des Flachmeeres in Süddeutschland und trennten die Tiefsee der Tethys von einer Reihe flacher Meereswannen im Bereich der heutigen südlichen Frankenalb. In diesen Wannen sammelte sich sehr feiner Kalkschlamm, in dem dann auch die Reste der in dem Flachmeer und den angrenzenden Inseln lebenden Lebewesen erhalten blieben. Dieser Kalkschlamm wurde über die Jahrmillionen zu den Solnhofener Plattenkalken, die weit über Deutschland hinaus als außergewöhnliche Fossillagerstätte berühmt sind. Mehrere tausend Arten fossiler Lebewesen sind bisher aus den Solnhofener Plattenkalken und den direkt darüber und darunter liegenden Schichten beschrieben worden, von einzelligen Algen über Landpflanzen, jegliche Art mariner Wirbelloser (z. B. Tintenfische, Seeigel, Krebse, usw.), Insekten, Haie und Knochenfische, verschiedenste Reptilien (z. B. Brückenechsen, Schildkröten, Krokodile, Flugsaurier, usw.) bis hin zum Urvogel Archaeopteryx.

Unter den Wirbeltieren sind besonders die Knochenfische sehr artenreich, wie das in einem aquatischen Lebensraum natürlich zu erwarten ist. Allerdings war die Fauna der Knochenfische zur Zeit des späten Jura noch deutlich unterschiedlich von der heutigen. Derzeit werden die Fischfaunen von der Gruppe der Teleosteer, der modernen Knochenfische dominiert, die mit über 30.000 bekannten Arten sogar fast die Hälfte der gesamten heutigen Wirbeltiere stellen. Im Gegensatz dazu beläuft sich die gesamte Anzahl der heute noch lebenden basaleren Knochenfische – Flösselhechte, Störe, Schlammfische und Knochenhechte – auf gerade einmal 36 Arten. Im Jura waren jedoch die modernen Knochenfische nur eine unter vielen Gruppen der Knochenfische. Besonders divers und weit verbreitet waren zu jener Zeit die Gynglimodi, die Gruppe, zu denen die heutigen Knochenhechte gehören, und die Halecomorphi, zu denen der moderne Schlammfisch (Amia calva) zählt. Daneben gab es aber auch noch eine Reihe von Gruppen ausgestorbener Verwandter der modernen Knochenfische. Eine dieser Gruppen, die in den Solnhofener Plattenkalken gut vertreten sind, sind die Aspidorhynchiden, insbesondere die Gattung Aspidorhynchus.

Wie die meisten basalen Knochenfische lassen sich die Aspidorhynchiden leicht von den modernen Knochenfischen anhand ihrer massiven Knochenschuppen unterscheiden. Während diese Art eines knöchernen Schuppenpanzers bei den Knochenfischen ursprünglich weit verbreitet war, haben die modernen Knochenfische diesen Schutz zugunsten eines sehr viel leichteren und beweglicheren Schuppenkleides aus Hornschuppen aufgegeben. Fossil kann man die modernen Knochenfische somit leicht von anderen Gruppen unterscheiden. Während bei ihnen die Wirbelsäule deutlich sichtbar ist, ist sie bei anderen Gruppen normalerweise unter dem dichten Schuppenpanzer verborgen.

Die Aspidorhynchiden zeichnen sich insbesondere durch ihren schlanken, stark verlängerten Körper und spitz zulaufende Kiefer aus, woher auch ihr deutscher Name – Schnabelfische – herrührt. Die Rücken- und Afterflosse sind weit hinten am Körper platziert und stehen sich direkt gegenüber. Insgesamt ähneln die Aspidorhynchiden stark den heutigen Hornhechten (deren englischer Name, needlefishes – Nadelfische – deutlich treffender ist), die allerdings zu den modernen Knochenfischen, den Teleosteern gehören. Aufgrund der Ähnlichkeit kann man davon ausgehen, dass die Aspidorhynchiden auch eine ähnliche Lebensweise wie die heutigen Hornhechte besaßen, d. h. sie waren schnell schwimmende Raubfische, die mit ihrem stromlinienförmigen Körper und den weit hinten sitzenden Flossen rasch beschleunigen können. Die heutigen Hornhechte können zudem auf der Flucht vor Fressfeinden hoch und weit aus dem Wasser springen. Dass dies auch für die Aspidorhynchiden möglich war, scheint nicht nur wahrscheinlich, es gibt sogar eventuell einen direkten Hinweis darauf: Ein schön erhaltenes Exemplar von Aspidorhynchus aus den Solnhofener Plattenkalken wurde zusammen mit einem Skelett eines Flugsauriers gefunden, und der spitze „Schnabel“ des Fisches hatte sich offenbar in der Flughaut des Reptiles verfangen. Obwohl dieser Fund auch als Versuch des Aspidorhynchus gedeutet wurde, den Flugsaurier zu erbeuten, erscheint es aufgrund dieser Fundlage durchaus auch plausibel, dass der Schnabelfisch das auf einem Fischzug niedrig über das Wasser fliegende Reptil nur aus Versehen bei einem Sprung aus dem Wasser „abgeschossen“ hat. Ähnliche Unfälle der heutigen Hornhechte, die bei Sprüngen mit Hindernissen zusammenstoßen, sind vielfach verbürgt.

Aufgrund ihrer Häufigkeit in den Plattenkalken des Altmühltals ist die Art Aspidorhynchus acutirostris eine der ersten beschriebenen Fischarten aus diesen Gesteinen; sie wurde bereits 1818 von Henri de Blainville beschrieben, der diesen Fisch damals noch für eine neue Art des heutigen Flusshechtes Esox hielt. Erst der bedeutende Schweizer Fischforscher Louis Agassiz erkannte 1833, dass es sich um eine ausgestorbene Fischgruppe handelte und änderte den Gattungsnamen in Aspidorhynchus. Da das von Blainville beschriebene Material nicht mehr erhalten ist, erwies es sich als notwendig, ein neues Exemplar als sogenannten Typus der Art festzulegen, also sozusagen als Referenzstück dafür, was die Art Aspidorhynchus acutirostris ausmacht. Bei dem hier gezeigten Exemplar handelt es sich um diesen sogenannten Neotypus. Dieses Exemplar ist nicht nur schön erhalten, sondern wurde auch von einem Hobbysammler, Herrn Dr. Uwe Eller, in herausragender Weise präpariert, so dass es zahlreiche der typischen Merkmale der Art zeigt. Dieses Exemplar ist somit von großem wissenschaftlichen Wert, da an ihm festgemacht ist, was die Forscher unter Aspidorhynchus acutirostris verstehen.



Oliver Rauhut und Adriana López-Arbarello