Ungeteilte Aufmerksamkeit für den Ozean
Am 15. Februar bevölkern von 18 bis 21 Uhr im Rahmen der UN-Ozeandekade Meeresbewohner die Fassade des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst. Warum die Ozeane mehr Aufmerksamkeit verdienen, erzählt Professor Gert Wörheide im Interview.
15.02.2021
Herr Professor Wörheide, was verbirgt sich denn hinter der Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung?
Prof. Gert Wörheide: Die UN hat 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung entwickelt, Ziel Nummer 14 ist „Leben unter Wasser“, um die Ozeane und Meeresressourcen nachhaltig zu nutzen. Die Dekade der Ozeanforschung wurde nun von der UN ausgerufen, um diesen Zielen näherzukommen und Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Ozeane zu schaffen. Dabei ist die UN-Ozeandekade keine Dachorganisation, die die Forschung automatisch vereint. Sie soll vor allem einen Anreiz für eine intensivere Koordination und Nutzung der Forschungsdaten schaffen, um eine bessere Integration in den politischen Entscheidungsprozessen zu fördern. Ich bin sehr gespannt, was sich in den nächsten Jahren ergibt.
Welche Rolle spielt der Ozean denn für die Erde und die Bevölkerung?
Prof. Gert Wörheide: Der Ozean ist der größte Lebensraum auf unserem Planeten. Über 70 Prozent der Erdoberfläche wird von den Ozeanen bedeckt und sie bilden damit einen gigantischen Lebensraum. Es wird davon ausgegangen, dass alles Leben im Ozean entstanden ist und sich bis vor ca. 400 Millionen Jahren noch alles Leben im Meer abgespielt hat. Heute stellen Ozeane Nahrungsressourcen zur Verfügung, nehmen einen Teil des vom Menschen produzierten CO2 auf und puffern durch Wärmeaufnahme auch die globale Erderwärmung ein Stück weit ab.
Durch eben die Erderwärmung wandeln sich die Ozeane allerdings zunehmend. Fische wandern aus den Tropen ab und unterbrechen damit eine Nahrungskette, auf die viele bevölkerungsreiche Länder dringend angewiesen sind. Korallenriffe – der artenreichste Lebensraum im Meer – sind global durch die sogenannte Korallenbleiche, hervorgerufen durch erhöhte Meeresoberflächen-Temperaturen, vom Aussterben bedroht. Es sieht nicht gut aus für den Ozean der Zukunft, aber bis heute wissen wir nicht genau, wie es weitergeht. Deshalb benötigen wir so viel maritime Forschung wie möglich, um den Wandel des Lebensraums Ozean zu erkennen und zu lernen, wie wir ihn und die dort lebenden Organismen nachhaltig nutzen und bewirtschaften können.
Welche Veränderungen im Ökosystem der Ozeane beobachten Sie momentan?
Prof. Gert Wörheide: Einige Kolleginnen und Kollegen sagen vorher, dass Mitte dieses Jahrhunderts mehr Plastik als Fisch im Ozean anzutreffen sein wird. Gerade im Hinblick auf die Klimaerwärmung verstehen wir als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen viele Prozesse die im Ozean ablaufen noch nicht im Detail. Wir kennen auch bei weitem noch nicht alle Arten im Lebensraum Meer und können somit auch nicht beurteilen, welche Naturprodukte diese Organismen für das menschliche Wohlergehen bereitstellen könnten. Diese Aspekte sind unter Anderem entscheidend für das weitere Vorgehen, zum Beispiel um Managementstrategien für die nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen zu entwickeln und implementieren.
Zum Beispiel ist im Pazifik der Abbau von mineralischen Rohstoffen, wie „Manganknollen“, in der Tiefsee geplant und die ersten Claims dafür sind schon abgesteckt. Man weiß aber immer noch nicht ganz genau, wie sich ein solcher Abbau auf den Tiefsee-Lebensraum und die dortigen Organismen auswirkt. Die Umweltbedingungen sind in der Tiefsee einfach anders. Wenn durch den Tiefseeabbau dort Sedimentwolken aufgewirbelt werden, können sie mehrere Monate im Wasser stehen bleiben, bevor sie sich wieder absetzen und dann alles Leben am Meeresboden zudecken. Bevor man solche Projekte freigibt, müssen neben den wirtschaftlichen Interessen auch verstärkt die ökologischen Auswirkungen berücksichtigt werden, unter Einbeziehung der modernen Forschungsergebnisse.
Haben Sie sich konkrete Forschungsziele für die Dekade der Ozeanforschung gesetzt?
Prof. Gert Wörheide: Hier im Münchner GeoBio-Center widmen wir uns vor allem der marinen Biodiversitätsforschung und Biodiversitätsgenomik. Wir untersuchen also die Artenzusammensetzung und deren Veränderungen, um Rückschlüsse auf die Population ziehen zu können. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf dem Mittelmeer und den Korallenriffen des tropischen Indo-Pazifiks. Das Abwandern von Arten aus ihrem angestammten Lebensraum durch den Klimawandel ist zum Beispiel im Fokus, sowie deren Auswirkungen auf die neu entstehenden Populationen. Die Biodiversitätsgenomik wiederum hilft uns dabei, Erkenntnisse über die Evolution, die Anpassungsfähigkeit und die Eigenschaften der Organismen zu gewinnen.
Im Rahmen der UN-Dekade der Ozeanforschung bin ich unter anderem in der neuen European Reference Genome Atlas (ERGA) Initiative aktiv, deren Ziel es ist, Referenzgenome aller europäischer Organismen zu sequenzieren. Dieser Referenzgenomatlas wird dann die Forschung signifikant fördern, um weitreichende Erkenntnisse auf Veränderungen, unter anderem durch den Klimawandel oder erhöhte Resourcennutzung, ableiten zu können und für die Erhaltung der Biodiversität zu nutzen. Da spielen die marinen Lebensformen natürlich auch eine wichtige Rolle.
Womit beschäftigen Sie sich denn gerade tagesaktuell?
Prof. Gert Wörheide: Aktuell erarbeiten wir unter anderem, wie sich Hitzestress auf die Skelettbildung von Korallen auswirkt. Wir sind hier besonders an einem fundamentalen Verständnis der Prozesse auf der molekularen Ebene interessiert. Korallen sind Tiere, die durch ihr Skelett aus Kalziumkarbonat die dreidimensionale Struktur der Korallenriffe aufbauen. Es ist aber noch nicht vollumfänglich bekannt wie sich Hitzestress auf die Skelettbildung auswirkt. Wachsen sie langsamer oder gar nicht mehr, wenn sich das Meerwasser erwärmt? Antworten auf diese Fragen können Hinweise darauf geben, ob Korallen auch weiterhin genug Kalziumkarbonat abscheiden können damit Korallenriffe auch dann noch wachsen, wenn sich die Ozeane weiter erwärmen.
Können Sie denn Ihre Forschung trotz der Pandemie vorantreiben?
Prof. Gert Wörheide: In den letzten knapp 20 Jahren haben wir jährlich Forschungs- und Studienreisen mit Studierenden in tropische Korallenriffe unternommen, ans Rote Meer, auf die Malediven, oder nach Indonesien etwa. Das ist jetzt natürlich vollkommen zum Erliegen gekommen, denn im Augenblick ist Forschung und Lehre vor Ort in den Korallenriffen für Ausländer leider unmöglich.
Trotzdem haben wir Glück im Unglück. Denn als ich nach München kam, habe ich ein Korallenriff im Keller angelegt. Wir haben hier nun Forschungsaquarien etabliert, in denen wir Korallen, Schwämme und andere Organismen züchten und unsere Forschungen betreiben können. Wir sind also nicht unbedingt auf das Reisen angewiesen, sondern können gut Situationen simulieren, das hilft uns über die Pandemie hinweg.
Und in zehn Jahren?
Prof. Gert Wörheide: In zehn Jahren hat sich hoffentlich einiges getan. Ich bin guten Mutes, dass die Forschung neue Erkenntnisse gewinnt, die die Menschheit maßgeblich insbesondere bei der nachhaltigen Nutzung der Meeresresourcen unterstützen können. Trotzdem hoffe ich, dass wir durch die ausgerufene Ozean Forschungs-Dekade noch mehr Aufmerksamkeit bekommen und so auch Menschen erreichen können, die sonst eher mit dem Thema nicht so vertraut sind.
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