September 2012: Brachiopode mit spiraligem Armgerüst
BSPG 2012 I 23
Liospiriferina rostrata (Schlotheim)
Unterer Jura (ca. 185 Millionen Jahre)
Fundort: St. Amand-Montrond
Dept. Cher, Frankreich
Breite der Schale: 34 mm
Mit ihrem zweischaligen Gehäuse ähneln Brachiopoden („Armfüßer“) auf dem ersten Blick den Muscheln (Bivalvia, Mollusken), zu denen sie allerdings in keiner verwandtschaftlichen Beziehung stehen. Sie gehören vielmehr zur Gruppe der Lophophoraten. Kennzeichnendes Merkmal sind die sogenannten Mundarme (Lophophore) im Schaleninneren, die als paarige Körperfortsätze links und rechts vom Mund stehen und 1-2 Reihen wimpernbesetzter Tentakel tragen. Die Mundarme vieler Brachiopoden werden durch ein feingliedriges kalkiges Armgerüst gestützt, welches in Form einer Spange, einer Schleife oder einer Spirale ausgebildet sein kann. Speziell die Spiriferinen weisen, wie der Name bereits verrät (spira = lat. Windung, Spirale; ferre = lat. tragen), ein solches spiraliges Armgerüst auf. Zu ihnen zählt auch die Gattung Liospiriferina.
Die Schalen fossiler Brachiopoden sind in der Regel mit Sediment verfüllt. Das für die Bestimmung wichtige Armgerüst ist somit der direkten Untersuchung unzugänglich. Eine mechanische Präparation scheidet angesichts der filigranen Strukturen aus. Üblicherweise sind sowohl die Brachiopodenschalen als auch das Sediment in kalkiger Erhaltung überliefert. Hier behilft man sich mit der Anfertigung von Serien- und Dünnschliffen, aus denen die Armgerüste anschließend mühsam rekonstruiert werden. Zu den großen Seltenheiten zählen verkieselte Brachiopoden, deren ursprünglich kalzitische Schalen und Armgerüste durch Siliciumdioxid (SiO2, z.B. Opal oder mikrokristalliner Quarz) ersetzt wurden. Die Sedimentfüllung ist dabei kalkig überliefert. Die chemischen Unterschiede ermöglichen bei vorsichtigem Vorgehen eine Freilegung der Schalen mit Säure, ohne dass die feinen Armgerüste zerstört werden. Ein solcher Glücksfall für die Paläontologen liegt bei unserem Fossil des Monats vor. Mittels Salzsäure wurden sämtliche kalkigen, nicht zum Brachiopoden gehörenden Partien weggeätzt, so dass die eine Klappe der Liospiriferina angehoben werden konnte und damit das nahezu vollständige filigran-spiralige Armgerüst im Inneren zum Vorschein kam.
Wie und weshalb die Schalen von Liospiriferina und anderen Faunenelementen aus den unterjurassischen Schichten von St. Armand-Montrod durch Silciumdioxid ersetzt („verkieselt“) wurden, ist noch nicht im Detail erforscht. Verkieselungsprozesse an Schalen von marinen Meeresorganismen setzen ein entsprechendes Angebot an gelöster Kieselsäure (H4SiO4) im Meer voraus. Es wird überwiegend auf die Zersetzung der Nadel-Skelette von Glasschwämmen oder auf die Lösung der Gehäuse anderer kieseliger Organismen (z.B. Radiolarien, in jüngeren Erdzeitaltern vor allem Diatomeen) zurückgeführt. Daneben wird auch der Verwitterung von Tonmineralen an Land und untermeerischen vulkanischen Prozessen etwa im Zusammenhang mit der Öffnung des Teilozeans des Urmittelmeeres Tethys eine bedeutende Rolle als Lieferanten der Kieselsäure zugeschrieben. Jedenfalls muss das Siliciumdioxid nach dem Tod des Brachiopoden sukzessive die ehemalige kalzitische Schale ersetzt haben. Als wahrscheinlich gilt, dass die im Sediment wandernde Kieselsäure mit dem Kalziumkarbonat der Brachiopodenschalen in Reaktion trat und sich über mehrere Zwischenstadien (z.B. Salze der Kieselsäure) letztendlich das reine Siliciumdioxid (SiO2) in Form von mikrokristallinem Quarz gebildet hat. Die Form der Brachiopodenschale und des Armgerüsts blieb dabei unverändert, so dass heute, 185 Millionen Jahre nach dem Tod des Brachiopoden, dessen kunstvoll gebautes Schaleninnere wie zu seinen Lebzeiten erhalten ist und von uns in der ursprünglichen Schönheit bewundert werden kann.
Martin Nose, Winfried Werner
BU: Innenaufbau eines Brachiopoden mit Lage der Lophophoren (Mundarme). Aus Ziegler 1998.