Rätsel um mysteriöse Gazellenart gelöst

Von der Chimäre zur Spezies: Fast 200 Jahre alte Museumsstücke dienten Forschern bisher als Beleg für die rätselhafte Arabische Gazelle. Nun wurde die Identität der Funde neu untersucht – und Überraschendes entdeckt.

Voraussetzung für den Erhalt der Biodiversität ist eine genaue Kenntnis der einzelnen Arten und ihrer jeweiligen Verbreitung. Eine grundlegende Ressource hierfür sind – neben Beobachtungen in freier Wildbahn – die Archive der naturwissenschaftlichen Sammlungen. Doch manchmal finden sich hier auch rätselhafte Arten, die vor langer Zeit entdeckt wurden – und dann plötzlich wieder in der Versenkung verschwanden. Ein solcher Fall war die Arabische Gazelle (Gazella arabica), die bisher ausschließlich durch Museumsstücke belegt war, die 1825 von Arabien nach Berlin importiert wurden.

Die Internationale Artenschutzorganisation (IUCN) klassifizierte G. arabica in ihrer Roten Liste mehrmals als ausgestorben. 2008 wurde dieser Status aufgrund nicht vorhandener genetischer Daten zu „data deficient“ revidiert. Um diese Lücke zu füllen, analysierten LMU-Wissenschaftler im Rahmen eines deutsch-britisch-saudi-arabischen Projektes die DNA der beinahe 200 Jahre alten Typusexemplare – mit überraschendem Ergebnis: „Fell und Schädel des Typusexemplares stammen von verschiedenen Individuen“, berichtet Dr. Gertrud Rößner von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie.

Museumsstück entpuppt sich als Chimäre

„Durch die Vermischung der Stücke suchte die Wissenschaft bisher nach einer Gazelle, die es nie gegeben hat“, sagt Eva Bärmann, Doktorandin der Universität Cambridge (GB), die die aufwendigen DNA-Analysen an der LMU durchführte. Stattdessen konnten mit Hilfe ihrer Ergebnisse die Museumsstücke nun als Vertreter zweier Evolutionslinien der Berggazelle (Gazella gazella) identifiziert werden, die im östlichen Mittelmeergebiet beziehungsweise auf der Arabischen Halbinsel leben.

Dieses Ergebnis ist Voraussetzung, um die bisherige arabische Unterart der Berggazelle zur eigenen Art G. arabica zu erheben – die somit keineswegs ausgestorben ist. „Unsere Arbeiten verdeutlichen den immensen Stellenwert von Typusexemplaren – nicht nur als Objekte von historischem Wert, sondern vor allem als unverzichtbare Referenzen für die Biodiversität und ihre Erhaltung, auch in Zeiten der Molekularbiologie“ hebt Professor Gert Wörheide vom Department für Geo- und Umweltwissenschaften hervor, in dessen Labor die Analysen durchgeführt wurden.(Mammalian Biology 2012)

Die Studie wurde finanziell unterstützt durch UK Natural Environment Research Council, Cambridge European Trust und Balfour Fund University of Cambridge.