Juli 2014: Zwergkrokodil
Atoposaurus cf. oberndorferi von Meyer
BSPG 1986 XV 134
Oberer Jura (ca. 150 Mio Jahre)
Blumenberg bei Eichstätt, Oberbayern
Die oberjurassischen Plattenkalke Süddeutschlands gehören sicherlich zu den berühmtesten Fossilfundstellen überhaupt. Einige der ersten wissenschaftlich beschriebenen Fossilien stammen aus diesen Schichten, wie etwa der erste Flugsaurier, der bereits 1784 wissenschaftlich untersucht wurde. Doch obwohl die oft generell als „Solnhofener Plattenkalke“ bezeichneten Gesteine weltweiten Ruhm für ihre hervorragend erhaltenen Fossilien genießen, sind gerade Reste von Wirbeltieren in diesen Schichten eigentlich eher selten, wie jeder Hobbysammler, der schon einmal in einem der Besuchersteinbrüche gegraben hat, bestätigen kann.
Die Berühmtheit erklärt sich daher hauptsächlich aus zwei Umständen: Zum Einen die lange und intensive Suche nach Fossilien in diesen Schichten, auch und insbesonders durch enthusiastische Amateur-Paläontologen, die zu der enormen Fülle von geborgenen Fossilien geführt hat, und zum anderen natürlich die hervorragende Erhaltung vieler Fossilien aus diesen Schichten, die sie für die Wissenschaft besonders wertvoll macht.
Vor 150 Millionen Jahren, zur Zeit des oberen Jura, sah Bayern noch ganz anders aus als Heute. Die Alpen gab es noch nicht, sie entstanden erst etwa 80 Mio Jahre später. Somit bildete die Region des heutigen Süddeutschland einen Teil des nördlichen Randes des Ur-Mittelmeeres, der Tethys. Zudem lag dieser Bereich deutlich weiter südlich als heute; der Äquator verlief weniger als 1000 km weiter südlich, so dass Bayern damals im tropischen Bereich lag. Die Landmasse war dabei von flachen, warmen Meeren bedeckt, die nach Süden hin durch ausgedehnte Riffgürtel zur offenen Tethys abgegrenzt waren. In diesen warmen Meeren bildeten sich zwischen den Riffen Wannen, in denen feiner Kalkschlamm abgelagert wurde und dabei die ebenfalls in diesen Wannen abgelagerten Überreste von Tieren und Pflanzen jener Zeit bedeckte. Aus diesem Kalkschlamm wurden dann die wohlbekannten Plattenkalke.
Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte der Plattenkalke ist es logisch, dass der ganz überwiegende Teil der dort zu findenden Fossilien von ehemaligen Meeresbewohnern stammt. Die nächsten größeren Festlandmassen waren zu jener Zeit das London-Brabanter Massiv und die Mitteldeutsche Schwelle im Nordwesten (die sich von Südengland bis etwa in das Rhein-Main-Gebiet erstreckten) und die Böhmische Insel im Osten. Beide dieser Landmassen lagen etwa 100 km von den Fundorten entfernt. Daneben gab es aber sicherlich im Bereich der Riffe und Wannen kleinere Inseln, so dass man auch vom Solnhofener Archipel zu jener Zeit spricht. Auf diesen Inseln lebten ebenfalls Tiere, die gelegentlich in die Meeresgebiete gelangten und dort in den Wannen dann abgelagert wurden. Funde solcher Landwirbeltiere sind aber natürlich extrem selten, am Häufigsten finden sich noch Reste fliegender Tiere, wie etwa Flugsaurier oder Urvögel. An reinen Landbewohnern wurden in den Solnhofener Schichten bisher Brückenechsen, Eidechsen, Krokodile und Dinosaurier nachgewiesen. Die häufigsten Landbewohner sind die Brückenechsen, während alle anderen Gruppen nur von einer Handvoll Exemplaren bekannt sind. Krokodile sind dementsprechend in den Solnhofener Schichten überwiegend mit marinen Formen vertreten, die zur Familie der Metriorhynchiden gehören, einer weitgehend an das Leben im Wasser angepassten Gruppe. Obwohl es im Jura bereits eine ganze Reihe landlebender Krokodilgruppen gab, kennt man aus dem süddeutschen Oberjura bisher nur Vertreter der Atoposauriden. Die Atoposauriden waren eine Gruppe von Zwergkrokodilen, die vom oberen Jura bis in die obere Kreide in Europa vorkamen und höchstens einen Meter Körperlänge erreichten. In ihrer allgemeinen Körperform sind sie den heutigen Krokodilen ähnlich, sie haben allerdings relativ lange Beine (was auch auf eine fortschrittliche Fortbewegungsweise an Land hindeutet) und eine spezialisierte Bezahnung, die auf eine Lebensweise als vermutliche Insekten- oder Allesfresser hindeutet.
Das vorliegende Exemplar von Atoposaurus ist somit eine echte Seltenheit. Es handelt sich zudem um ein Jungtier mit etwa 17,5 cm Körperlänge. Die Gattung Atoposaurus unterscheidet sich von anderen Atoposauriden darin, dass ihr die knöchernen Panzerplatten entlang der Wirbelsäule fehlen; es ist jedoch auch schon gemutmaßt worden, dass dies darauf zurückzuführen sei, dass es sich um Jungtiere einer anderen Gattung (vermutlich des bis zu einem Meter großen Alligatorellus) handelt. Dieses Exemplar hat zudem eine interessante Geschichte: Aufgrund der vergleichbaren Größe und ähnlicher Proportionen wurde der unpräparierte Fund ursprünglich als Exemplar der Brückenechse Homoeosaurus identifiziert. Homoeosaurus gehört zu einer altertümlichen Reptiliengruppe, die den Eidechsen nahestehen und heute nur noch mit einer Gattung in Neuseeland vorkommen, die aber in den Plattenkalken die häufigsten Landwirbeltiere stellen. Erst nachdem der Privatsammler, Präparator und exzellente Kenner der Fauna Solnhofens Dr. Helmut Tischlinger erkannt hatte, dass es sich nicht um einen Homoesaurus handelt und es ihm gelang, das Skelett in jahrelanger aufwändiger Präparation freizulegen, stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um einen dieser so extrem seltenen Atoposauriden handelt.
Oliver Rauhut