Januar 2011: Schädel eines Reusengebiß-Flugsauriers Ctenochasma sp.

BSPG 2010 I 96a
Oberer Jura (150 Millionen Jahre)
Mörnsheimer Schichten, Weißer Jura zeta 3
Steinbruch Schaudiberg bei Mühlheim (Gemeinde Mörnsheim)
Länge des Schädels: 27 cm

Foto: M. Schellenberger
© Paläontologisches Museum München

Die Flugsaurier (Pterosauria) sind eine große Gruppe von Reptilien aus dem Erdmittelalter (Mesozoikum), die den Dinosauriern zwar verwandtschaftlich nahestehen, aber, entgegen der landläufigen Meinung, nicht zu den Dinosauriern gehören. Sie zeichnen sich durch einen stark abgeleiteten Skelettbau aus, der mit der aktiv fliegenden Lebensweise dieser Tiere zusammenhängt. Flugsaurier gab es von der Zeit der oberen Trias (vor ca. 230 Millionen Jahren) bis zum großen Aussterbeereignis am Ende des Erdmittelalters (vor ca. 65 Millionen Jahren). Ihre Blütezeit scheinen diese Tiere jedoch vom oberen Jura bis in die Unterkreide (von ca. 155 bis 100 Millionen Jahren) gehabt zu haben.

Die oberjurassischen dünnbankigen Plattenkalke Süddeutschlands gehören zu den bedeutendsten Fossilfundstellen für Flugsaurier. Dies hat mit den besonderen Erhaltungsbedingungen zu tun: Durch eine Einbettung in einem weichen Kalkschlamm konnten die sehr filigranen Skelette dieser Tiere erhalten bleiben. Die berühmteste Fundlage sind dabei sicherlich die klassischen Solnhofener Schichten, in denen durch jahrhundertelange intensive Steinbrucharbeit zahlreiche, hervorragend erhaltene Flugsaurier gefunden wurden. Weniger bekannt ist, dass auch die darunterliegenden Lagen (etwa die Schamhauptener Schichten) und auch die darüberliegende geologische Einheit, die Mörnsheimer Schichten, durchaus fossilreich sind und auch bereits Flugsaurier-Reste geliefert haben.

Unser Fossil des Monats aus den Mörnsheimer Schichten ist der Neufund eines Schädels des Flugsauriers Ctenochasma, eine äußerst seltene Flugsauriergattung. Sie ist weltweit nur mit sechs mehr oder weniger fragmentarisch erhaltenen Fossilien belegt. Außerhalb der Solnhofener Schichten Bayerns ist nur ein einziger Schädel im oberen Jura Frankreichs und ein Unterkieferfragment bei Hannover gefunden worden. Aus den Mörnsheimer Schichten war diese Gattung bisher gänzlich unbekannt.

Das Fossil repräsentiert einen der vollständigsten und best erhaltenen Schädel der Gattung Ctenochasma überhaupt und ist zugleich auch der größte. Der Fund umfasst außer dem Schädel auch beide Unterkieferäste mit vollständiger Bezahnung, die Zungenbeinbögen sowie einen Halswirbel und das Schulterblatt (auf einer zweiten Gesteinsplatte).
Der vorliegende Schädel zeichnet sich durch seine besondere Erhaltung aus. Er ist besser dreidimensional erhalten als vergleichbare Funde aus den Solnhofener Schichten. Da das Gestein auch etwas härter ist als in den Solnhofener Plattenkalken, war die Präparation aufwändiger: sie wurde mit Sticheln unter dem Mikroskop und unter UV-Licht vorgenommen, um eventuelle Weichteil-Strukturen nicht zu beschädigen.

Der Name Ctenochasma (von altgriechisch κτενο, Kamm und χάσμα, Schlund, Maul) bezieht sich auf das Gebiß, das aus etwa 250 dicht an dicht nach außen stehenden, langen und nadelspitzen Zähnen besteht. Das Gebiß bildete beim lebenden Flugsaurier einen Kamm oder eine Art Reuse und war damit für das Herausfiltern von Kleinorganismen aus dem Wasser geeignet – vielleicht ganz ähnlich wie bei einem heutigen Flamingo.Als auffälliges Detail ist der knöcherne Ansatz eines Schädelkammes auf der Schnauze direkt vor der Nasenöffnung erkennbar. Der „ausgefranste“ Rand des Kammes deutet darauf hin, dass diese Struktur beim lebenden Tier durch verlängernde Hautpartien noch deutlicher ausgeprägt war. Das Vorhandensein solcher Kopfkämme lässt sich bei vielen Flugsauriern feststellen. Entgegen früherer Überlegungen hatten diese Strukturen jedoch wohl keine Bedeutung für die Flugeigenschaften der Tiere, sondern dienten vielmehr als „Anzeigetafeln“ im Sozialverhalten.

Unser Fossil des Monats ist von hohem wissenschaftlichen Interesse. Es erlaubt eine detailliertere Beschreibung und Neufassung der Gattung Ctenochasma. Da die bekannten Funde der Gattung aus Schichten unterschiedlichen geologischen Alters stammen, bietet sich zudem die einmalige Gelegenheit, evolutive Veränderungen über einen kurzen Zeitraum weniger Jahrmillionen festzustellen. Es handelt sich nach erster Einschätzung um eine neue Art, die sich von den bisherig bekannten drei Arten beispielsweise durch die charakteristische Form des Knochenkammes auf der Schnauze unterscheidet. Der Ctenochasma-Schädel gehört zu den wichtigsten Neuerwerbungen des Jahres 2010 und konnte nur mit Unterstützung des Fördervereins Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Historische Geologie, München e.V. angekauft werden. Er wird nun einer wissenschaftlichen Bearbeitung zugeführt.

Markus Moser und Oliver Rauhut